Dienstag, 6. Dezember 2005

1.3.1: Der Ring

»Hm, das kann ja heiter werden«, dachte der liebe Schuhu und sortierte erstmal sämtliche Federn in der Hoffnung, dann einen klaren Gedanken fassen zu können. Der Morgen brach herein und die Eule wurde träge, sie fühlte sich elend und fremd.
Als Schuhu schon beinahe vor Erschöpfung von einen leichten Schlaf eingeholt worden war, lief ihm ein Schauer über das Rückengefieder und er räkelte unwillkürlich seine Flügel ein wenig. Da musste er blinzeln und sah plötzlich einen im Morgenlicht schimmernden silbernen Ring auf dem Brett vor der Öffnung. Es ging eine so unglaubliche Anziehungskraft von dem Schmuckstück aus, dass Schuhu fast vom Balken gefallen wäre und laut rief: »Ich bin doch keine Elster!«

1.3: Die Eule und die Krähe

Von ungefähr war eine von den großen Eulen, die man Schuhu nennt, aus dem benachbarten Walde bei nächtlicher Weile in die Scheuer eines Bürgers geraten und wagte sich, als der Tag anbrach, aus Furcht vor den andern Vögeln, die, wenn sie sich blicken läßt, ein furchtbares Geschrei erheben, nicht wieder aus ihrem Schlupfwinkel heraus.
Dort saß die Eule, zusammengekauert auf einem Balken, und fürchtete sich sehr.

Zum Fenster kam ein zweiter Vogel hineingeflogen – es war eine kohlenschwarze Krähe – , die setzte sich neben die verwunderte Eule.
»Guten Morgen, lieber Bubo,« krächzte die Krähe, »mir scheint, Du bist einem Grimmschen Märchen entflogen!«
Die Eule wusste nicht so recht, was sie dazu sagen sollte und drehte verlegen ihren Kopf. »Verzeihung, ich sollte mich erstmal vorstellen,« fuhr die Krähe fort, »mein Name ist Adelbert, und ich werde Licht ins Dunkel bringen!«

Mit diesen Worten flatterte Adelbert aus dem Scheuer, hinaus in den Morgenhimmel, und ließ den armen Schuhu verstört zurück.

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1.2.1.1.1.1: Waldmeister

Zaghaft und zitternd vor Spannung, näherte Benno sich dem Schlauchbötchen. Doch mit jedem Schritt, den seine voll Wasser gesogenen Stiefel seufzend kommentierten, schien sich das Gefährt aus Plastik und Luft allmählich aufzublasen. Als er unmittelbar davor stand, war es auf die Größe eines Elefanten angewachsen. Er schaute nach oben um zu begreifen und da stieg ihm der herrlich süße Duft von Waldmeistersirup in die Nase. Er kam aus dem Staunen nicht mehr heraus als ihn plötzlich etwas an der linken Wade zwickte.

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1.1.2.1.1.1.1.1 + 1.1.3.1.1.1.1 = A: Wer sind wir, woher kommen wir, wohin gehen wir?

Als Ulrich die Augen wieder öffnete, staunte er nicht schlecht: er fand sich auf einem roten Holzstuhl am hinteren Ende eines ziemlich langen Straßenbahnwagens sitzen. Weiter vorne saß nur noch ein einzelner Mann, der, die Füße bis ans Kinn hochgezogen, auf einem schwarzen Holzstuhl saß. Ansonsten war der Waggon leer, und der Fahrer saß so weit vorne in seiner Kabine, dass er ihn nicht erkennen konnte. Ulrich drückte den »Bitte halten«-Knopf, was ein kreischendes Klingelgeräusch produzierte und zur Folge hatte, dass die Bahn nur noch schneller zu fahren schien.

1.1.2.1.1.1.1: Das blanke Entsetzen

»Das ist grotesk! Absurd! Ganz und gar bizarr!«, sagte Ulrich. Er wollte nur noch weg von dieser purpurnen wabernden Walküre, die nun mit schauerlicher, markerschütternder Kopfstimme etwas aus der Dreigroschenoper zum Besten gab. Den Fischkopf wie eine Halskrause tragend wankte sie auf ihn zu. »Spelunken-Jenny? Wovon redet sie? Die Frau ist ja irr! Zeit, die Beine in die Hand zu nehmen und wieder zur Oberfläche unseres schönen Erdenrunds emporzuschnellen.«
Die enttäuschte Ulla hinter sich lassend schoss Ulrich pfeilgerade nach oben zum Ufer.
Doch, o Graus, was musste er sehen! Vor ihm an der Böschung stand, bedrohlich aufgebaut, eine Frau, die Ulla Hermes zum Verwechseln ähnlich sah, allerdings ganz in grün gekleidet! Ein flaschengrüner ausladender Umhang aus schwerem Brokat umhing ihre Schultern, geschmückt mit stilisiertem Blattwerk aus Seide, ein tannengrünes Wams halb verdeckend, das ihren stattlichen Busen im Zaum hielt. Von der üppigen Taille abwärts bauschte sich eine Pluderhose nach Garçon-Art! Und dieses Weib hob tatsächlich zum Gesang an! Ulrich war entsetzt. Er stolperte rückwärts, zurück in den Fluss, und prallte an – Ulla! Nackte Verzweiflung stand dem Unglücklichen ins Gesicht geschrieben. Von vorn die grüne Grässlichkeit, von hinten der rote Rollmops – und sie intonierten in vollkommenster Dissonanz eine Art Zwölftonmusik. Ulrich wurde schwarz vor Augen.

1.1.2.1.1.1: furios

Ulla drehte sich auf der Ferse um ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen. »Arrogantes Frauenzimmer«, dachte Ulrich noch bei sich, als ihn ein jäher Piepton zusammenzucken ließ. Plötzlich wurde er vom einem gleißenden Lichtkegel geblendet. »Jetzt geht sie wirklich zu weit!« Ulla hatte die Empore erklommen, wo sie nun stand und mit den Lichtorgeln herumwirbelte. Doch damit nicht genug. Plötzlich ergriff sie ein überdimensionales Mikrophon und begann mit verstellter Stimme hineinzugrölen. »Sie denkt doch nicht etwa, dass ich sie jetzt nicht mehr erkenne?«
Als er wieder nach oben blickte, hatte sich Ulla einen Fischkopf übergestülpt. Schreien tat sie immer noch wie am Spieß.

1.1.3.1.1.1: Schweißperlen

Renatus’ Herz begann heftig zu klopfen. Was geschah hier – war er in einem irrem Traum gelandet? Aber nein, das war unmöglich. Soeben hatte er doch noch die Schule verlassen und war wie immer in die »Fünf« gestiegen, mit der er täglich nach Hause in seine zentralgelegene Zwei-Raum-Wohnung fuhr. Er kniff sich. Autsch! Nein, er schlief wirklich nicht. Aber wo waren die Leute? Es schien ihm auch eine Ewigkeit her zu sein, dass die Bahn gehalten hatte. Auch vom Schaffner war keine Ansage mehr zu ihm durchgedrungen. Vorsichtig schaute er aus dem Fenster. Was er dort sah, versetzte den schlagfertigen Realschullehrer nahezu in einen Schockzustand. Schweißperlen traten auf seine Stirn. Das konnte doch einfach nicht möglich sein! Renatus bekam es mit der Angst zu tun.

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Rundgang Juli 2006.
Fotos © Ulrike Stoltz, Florian Hardwig

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