Mittwoch, 14. Dezember 2005

1.1.1.1.2.1.1.1.2: Ulrich im Underground/Der Regisseur

… Nachdem Ulrich sich des Schlüssels bemächtigt hatte, öffnete er die enorme Flügeltür und fand sich offenbar in der Geheimloge eines barocken Undergroundtheaters wieder. Allem Anschein nach wurde er so eben Zeuge einer Schauspielprobe! So hatte er sich den bayovarischen Untergrund wahrhaftig nicht vorgestellt. Er drückte sich in eine dunkle Ecke, um nicht gesehen zu werden. Unten auf der großen Bühne ereignete sich unter anderem dies:

Etwas abseits im Lichtkegel eines einzelnen grellen Scheinwerfers standen zwei bleichgesichtige rothaarige Mädchen in blauen Schuluniformen. Mit monotoner Stimme und wie aus einer Brust wiederholten sie ständig folgende Sätze: »Praised be every moment when you can speak. The rest of the time, listen. But when speaking, don’t listen.«

Das Hauptgeschehen schien sich jedoch im Zentrum der Bühne abzuspielen. Ein aufgebrachter Bauernmob schickte sich an, einem Eulenvogel den Garaus zu machen. »AUS AUS AUS!!!«, ertönte es plötzlich mit heiserer wutentbrannter Stimme aus der ersten Reihe. »MEN-SCHENS-KIND WIE STERBEN SIE DENN?!!« (Es handelte sich offenbar um den Regisseur.) Er schrie in einem fort: »BUBO, KOMMEN SIE VON DEM VERDAMMTEN BALKEN RUNTER!« und »WO BLEIBT EIGENTLICH MEIN GRÜNER TEE?« Hastig warf er einige Nikotinkaugummis ein.

(Schwenk zum Regisseur)
Warum zur Hölle hatte er es nur immer wieder mit solchen Dilletanten zu tun?! Da war dieser Bubo Ingelwood keine Ausnahme. Dieses Milchgesicht!! Ihm war klar, dass er Donna Arrabbiata noch einen Gefallen schuldete, aber das ging nun wirklich zu weit! Diese Donna! Er bekam schon Kopfschmerzen wenn er nur an sie dachte. Doch es half alles nichts. Er zückte also sein perlmuttenes Mobiltelefon (oder vielmehr: er schulterte es, denn es stammte noch aus der ersten Generation der tragbaren Fernsprechgeräte) und wählte die Nummer der Arrabbiata: »Diess es de rrabbiate Fernsprrech konserve …« Mal wieder nur der Anrufbeantworter.

1.2.1.1.1.1.1.1.1.1.2: Die Tante flippt aus

»Du bringst ja alle Geschichten durcheinander!« kreischten die Kinder aufgeregt.

»Ja, Gottverdammisch!« Die müde Tante fuhr aus der Haut. »Dis is ja och ’n Schlehmassel hier! Alle Seitn lose, und die Pagina hamse och vagessn. Isch krig die Krise mit dem Zettlkastn hia!«

Sie pfefferte das dicke Buch, über die Köpfe der vor Schreck verstummten Kinder hinweg, in die Ecke des Zimmers. Die Seiten flatterten durch den Raum wie Schneeflocken im Sturm. Entnervt und mit schriller Stimme keifte die Tante weiter: »Da blickt doch kee nömala Mensch mee dursch mit dem Kokölores! Erst soll’s ’n Märschen sein, und dann hamse doch wieda Trambahn und Fernsprescha. Und de Mändy is öf een Schlach die Trulla oder annersrum. Nö, escht jetz! Dis is doch nüsch füa Kinda … Isch hab fertisch hier – all’s erledischt!«
Mit diesen Worten und einer energischen Handbewegung löschte sie das Licht – und rumpelte zur Tür hinaus.

»Puh, die sind wir los!« Eines der Kinder krabbelte aus dem Stockbett, knipste seine Taschenlampe an und schnappte sich eine der Buchseiten. Flüsternd las es vor:

1.1.2.1.1.1.1.2.1: Fette Beute

Mit größter Genugtuung versenkte Mandy die Beute (bis auf das Taschentuch) in ihrem Lederbeutel der Marke 4YOU und hielt Sandy ihre Handfläche entgegen. »Gimme five!«
Den Schlüssel steckte sie in ihre Eastpak-Bauchtasche, zur Sicherheitsverwahrung.
Die beiden schlenderten zufrieden den Waldweg entlang, so gut es eben ging auf den dicksohligen Buffalos – ohne den Schatten zu bemerken, der sich unauffällig an ihre Fersen heftete.
Als die Mädchen aus dem Wald heraustraten, sahen sie an der Bushalte schon ein Grüppchen wohlbekannter halbstarker Gestalten beisammenstehen, von denen sich die beiden Buben nonchalant auf aufgemotzte Mofetten stützten. Es waren Andy, Randy, Cindy und Nancy, schon ungeduldig wartend. Von einem Fuß auf den anderen tretend, ununterbrochen rauchend und etwas zu laut lachend betrieben sie Konversation.
Auch sie hatten sich ihrer Maskerade entledigt und hatten den grünen Hut, ein Paar goldener Flügel, ein üppiges rotes Gewand und diverse andere Utensilien auf einen Haufen gelegt. »Heeeeyyyy!«, rief Randy, als er die beiden Girlz herannahen sah. »Na, was habt ihr abgegriffen? Lasst sehen!«, sagte Nancy, sich gespannt in Richtung Sandy neigend.
Der Reihe nach öffneten alle ihre Taschen und zeigten, was sie ergattert hatten. Aus Randys Tasche schaute verängstigt ein pausbackiges Mädchen mit rotem Gewand hervor, Cindy hatte einen Beutel voll mit feinstem Geschmeide, das, als Randy es sich anschauen wollte, von einem schimpfenden übergewichtigen Vogel festgehalten wurde.
Nancy zog ein verbeultes Blechschild hervor, auf dem in karolingischen Minuskeln das Wort »contrafumo« zu lesen war.
Der Streifzug hatte sich gelohnt. Alle hatten fette Beute gemacht.
Mandy jedoch hielt sich ein wenig im Hintergrund, ihre stark gepuderte Stirn zog sich nachdenklich in Falten. Dann fasste sie sich ein Herz, öffnete die Bauchtasche und zog langsam den Schlüssel hervor.
In diesem Moment löste sich der Schatten in unglaublicher Geschwindigkeit aus dem Hintergrund und sorgte dafür, dass die Diebesbande diesen Tag niemals mehr vergessen sollte.

1.2.1.1.1.1.1.1.1.1.1.1: Gino Ginelli

RIIIIINNNNGGGGGGG! Was war denn heute nur los. Schon wieder wurde sie unterbrochen, bevor sie die Kinder mit ihrer spannenden Geschichte in ihren Bann ziehen konnte. Schon waren die Racker zur Tür gestürzt und hatten sie aufgerissen, trauten jedoch ihren Augen nicht, als sie gewahr wurden, um wenn es sich dort handelte, der da dick und breit im Rahmen klemmte. Es war Gino Ginelli!

»Zu Halloechen Popoechen, ihr kleines räcker. es hat gesagt, daß die Kinder verdutzt waren. Für Sie gefrieren das enorme ghiacciato Mengen schöne Tür voran«, lachte er die Winzlinge an, die sofort ihre Börsen rausrückten. Er war schon ein echter Vertreter, dieser Schlingel.

logo

Nonlineare Texte

Typoseminar HBK Braunschweig

Fotos von der Ausstellung

Diese Flickr-Tafel zeigt Bilder aus dem Set Contrafumo.

Flickr-Diashow starten

Rundgang Juli 2006.
Fotos © Ulrike Stoltz, Florian Hardwig

Archiv

Dezember 2005
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
15
18
19
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
 
 

Profil
Abmelden
Weblog abonnieren