Dienstag, 13. Dezember 2005

1.2.1.1.1.1.1.1.1.1.1: Ihr werdet schon sehen …

»Du bringst ja alle Geschichten durcheinander!« kreischten die Kinder aufgeregt.

»Ihr werdet schon sehen. Jetzt hört erstmal zu.« wurden sie von der Tante beruhigt. »Also noch mal von vorne: Eines Tages, als sie mal wieder ihre riesige Schlüsselsammlung polierte …«

1.2.1.1.1.1.1.1.1.1: Die Geschichte geht weiter

»Uaaahhhh«, gähnte die Tante. »Wenn ihr also unbedingt wollt, dann setze ich die Geschichte also ein wenig fort.« Die Kinder jubelten und knieten sich in ihre Lieblingsposition, eng an die dicken und wülstigen Waden der Tante gekuschelt, die alsbald anfing zu erzählen: »Es war einmal eine Elster namens Rotkäppchen die Benno hieß, karolingische Minuskeln und klassische Unterwassermusik liebte. Eines Tages, als sie mal wieder ihre riesige Schlüsselsammlung polierte …« Die Tante wurde durch empörtes und lautes Kindergeschrei unterbrochen.

E.2: i have no more desire

»… qué coño« fluchte sie auf Spanisch vor sich hin. Was es auf Deutsch hieß, wollte sie dem Sohnemann lieber verschweigen. Sie begab sich zu dem hinter dem Bücherregal versteckten Überwachungskonsolenschalter und ließ ihre zwar kleine aber unheimlich kraftvolle Faust darauf donnern. Das Gerät hatte schon lange seine Tücken. Mit einem unangenehmen Knirschen schalteten sich die in die Kinderbibel installierten Boxen ein, und mit einem bösen Unterton schallte eine röchelnde Stimme heraus:

“They simply no notion which passed here, leakage them me at the Sonstewo! because I have no more desire. Where they put the whole time. Which is that everything. I understand only station. Much luck on all lamps with many ways.”

Sie stutzte. Das konnte doch einfach nicht wahr sein. Nochmals drehte sie an dem kleinen Schalträdchen, um das Ganze in ihrer Muttersprache zu hören:

»Esso semplicemente nessun termine, che ha ecceduto qui, stillante lo I con il Sonstewo, perché non ho più desiderio. Dove hanno regolato il tempo. Quale quel tutto è. Capisco soltanto la stazione. Molta fortuna su tutte le lampade con molti sensi.«

Sie rannte in Richtung Badezimmer und rief dem Sprössling zu: »Es einfach keine Bezeichnung, die es hat hier ecceduto, stillante mit dem Sonstewo, weil ich nicht mehr Wunsch habe. Wo sie die Zeit reguliert haben. Welche dieses alles es ist. Ich verstehe nur die Station. Viel Vermögen auf allen Lampen mit vielen Richtungen.«

Da öffnete sich die Duschkabine und mit einem entsetzten Gesichtsausdruck schaute er der Mutter ins cara.

E.1:

-... --- -. .--- --- ..- .-. (leicht dramatisch:) »Es ist die Krähe!«

Montag, 12. Dezember 2005

1.1.1.2.1.1 + 1.1.1.1.2.1.1.1.1 + D.1.1.1 = E: La Donna arrabbiata

Donna Theresa war außer sich: »Giacomo! Wie lange brauchst Du denn noch!?« Sie rüttelte an der Badezimmertür. Das war mal wieder tipico! Ihr Sohn stand unter der Dusche und träumte. Buono a nulla! Und ihre Nikotinpflaster, die sie jetzt so dringend benötigte, lagen – naturalmente – in der stanza da bagno. Herrisch stampfte sie zurück in den Salon. Wo blieb Esther? Und warum meldete Urs sich nicht? Maledizione! Questi uccelli svizzeri!

In ihrem Temperament bemerkte sie gar nicht, dass an der großes Überwachungskonsole ein einzelnes Lämpchen zu blinken begonnen hatte.

1.2.3.1.1.1.1.1: Nachricht von U.

Er sah eine Gestalt, die aus dem Unterholz auf ihn zu stapfte. Es war ein sonderlicher alter Mann mit goldenen Flügeln, einem wabbeligen weißen Bauch und Augen, vor denen die Sonne in Ohnmacht fällt.

»Wie ist dein Name, Kid?« »Benno«, sagte Benno entgeistert. »Okay Buddy, dann hab ich hier was für dich.« Der seltsame Kerl kramte in einer abgenutzten dunklen Ledertasche und zog zwischen einigen leeren Bierdosen ein zerknittertes Kuvert aus grünlichem Papier hervor. »Nichts für ungut Kumpel.«, brummte der Mann, trank noch den letzten Bierrest aus einer verbeulten Dose und zog laut rülpsend von dannen.

Benno riss den Umschlag auf und entfaltete das Papier. Dort stand in karolingischer Minuskel:
don’t panic!
gezeichnet: u.

1.1.1.1.2.1.1.1: Abwärts

Die Krähe pickte nervös am Spiegel. Als Ulrich sich diesen genauer besah, bemerkte er eine vage Transparenz im Glas, doch er konnte nichts genaueres erkennen. Er versuchte, den Spiegel zur Seite zu hieven. »Zapperlot!« entfuhr es ihm.
Hinter dem alten Spiegel befand sich eine hölzerne Schiebetür mit einem grünen Knopf, den er sodann drückte. Ein schrilles Klingeln ertönte und die Tür öffnete sich. Hinter der Tür lag ein sehr enger Raum (mit schwerem Eichenfurnier verkleidet), der einer Fahrstuhlkabine nicht unähnlich war. Eine Reihe Tasten war an der Wand angebracht, die eine Kombination aus Zahlen und Buchstaben zierte (ähnlich wie bei einem Schachbrett). Ulrich, nicht blöde, sah auf seinen Zettel und drückte folgende Tasten: B1, M2, L3, A4, E4.
Mit einem lauten RUMMS schlug die Schiebetür zu und die Kabine setzte sich in Bewegung (abwärts!).
Minuten vergingen, bis der Fahrstuhl wieder stoppte. Ulrich drückte auf Apfel-O und die hölzernen Türen schoben sich langsam quietschend auf.

Ein langer dunkler Gang oder Flur lag vor ihm, und nur ein kleines zuckendes Deckenlicht schien gegen die Dunkelheit anzukämpfen. Die roten Textiltapeten und ein langer roter Samtteppich kündeten vom Pomp längst vergangener Tage. Ein schwerer süßlicher Geruch kroch den Flur entlang.

RAUCHEN VERBOTEN! stand in geschwungener Schrift auf einem Messingschild. »…contrafumo…« ging es Ulrich durch den Kopf. Er folgte den grünleuchtenden EXITschildern, bis der Korridor an einem Vorhang endete. Alsdann nahm er all seinen Mut zusammen und riss den schweren Vorhang beiseite. Eine Flügeltür mit einem eisernen Eulenkopf als Knauf! Er rüttelte daran, doch die Tür schien verschlossen. Da fiel sein Blick auf ein gläsernes Kästchen, das an der Wand angebracht war. Ein goldenes Schlüsselchen glänzte darin im fahlen Schein der Notbeleuchtung.

Sonntag, 11. Dezember 2005

1.3.2.1.2.1: Ein zweites Untier

Stolz präsentierte er dem johlenden Mob die blutige Lanze, an dem das gefiederte Monster seine Schwingen hängen ließ und nun jeglichen Schrecken verloren hatte. Der Held wollte gerade wieder die Leiter hinabsteigen, da hörte er hinter sich ein Glöckchen läuten!
Er untersuchte den Balken, auf dem das Ungetüm gelauert hatte: Dort lag ein metallisch glänzendes Kästchen, das leuchtete und wackelte, als säße der Teufel selbst darin! »Gott steh mir bei«, sprach der tapfere Krieger, fasste sich erneut ein Herz und griff nach dem Ding. Urplötzlich hörte das Zappeln auf, und auch das Glöckchen verstummte – er hatte den Dämon zum Schweigen gebracht. Das Kästchen entpuppte sich als eine Art gepanzertes, gliederloses Tier, auf der einen Seite entblößte es eine Reihe goldener Zähne und ein einzelnes, tiefliegendes Auge, und am Rücken trug es Panzerplatten, auf die ihm jemand die arabischen Ziffern, die Buchstaben des Alphabets und einige andere, necromantische Zeichen gemalt hatte. So etwas hatte er noch nie gesehen! Von unten riefen seine Freunde schon: »Wo bleibst Du denn? Willst den Schaschlik wohl für Dich allein!«, da erwachte das Tier wieder zum Leben! Dort, wo der Panzer endete, begann der Rücken zu leuchten – die Kreatur trug Feuer im Leib! Und wie von Zauberhand geschrieben erschien, in grotesk eckigen Lettern, eine magische Formel: "don’t panic!"

Samstag, 10. Dezember 2005

1.1.1.1.2.1.1: Das Geheimnis des Renatus Schlehmichel

Ulrich wollte gerade die nächste Nummer probieren, als er hinter sich ein Geräusch hörte. Er wirbelte herum, niemand zu sehen … dann senkte er seinen Blick – zu seinen Füßen saß ein Vogel! Die Krähe flatterte aufgeregt mit ihren Flügeln, sie schien ihm etwas mitteilen zu wollen, denn mit ihrem Schnabel hackte und pickte sie nun unablässlich auf das Holzpaneel unterhalb des Telefons ein.

Er kniete sich nieder, schob den nervösen Vogel zur Seite und untersuchte die Fußbodenleiste. Ja, da war etwas! Als er mit seinen Fingern gegen das Holz drückte, gab es nach und offenbarte einen kleinen Hohlraum.

Zum Vorschein kam eine Zigarrenkiste mit dem Aufdruck »Ormond Brasil 10«, in der ein weiterer, einzelner Post-It-Zettel lag. Auf das Papier waren seltsame Zeichen gekritzelt, die in Form eines Quadrats angeordnet waren. Das sah aus wie ein winziges Kreuzworträtsel … in dem schummrigen Licht konnte er nichts entziffern. Ulrich trat zum Fenster. Mmm … was war das für eine Geheimschrift?

Mit einem kehligen »Kraaah!« machte die Krähe abermals auf sich aufmerksam. Sie hatte sich auf dem Spiegelrahmen niedergelassen. »Natürlich!« rief Ulrich, »ich Dummkopf!« Er sprang zum Spiegel und wischte mit seinem noch feuchten Ärmel ein Fenster in die dicke Staubschicht. Als er den Zettel davor hielt, sah er dies:

t s c h e c h i n u l l a h e r m e s
h e r n a c h h e l l s t e m u s i c
e u l e l e r n s t h a s c h m i c h
r e n a t u s s c h l e h m i c h e l
e h s c h a l t i e r m u s c h e l n
s c h l i c h t e s l e h r e n m a u
e h e i h m c s u r a t s c h n e l l
s t u l l e s i c h h e r m a c h e n
u l r i c h n e h m t s e e l a c h s
m a e r c h e n s c h u h s t i l l e
m a t h e s c h u l i s c h l e r n e
e l s t e r c h a n e l i m s c h u h
r i t u e l l e m s c h a c h s e h n
i h r s c h u l a m t e s e l c h e n
s c h e l m i s c h a l t e u h r e n
t r a m n u l l s e c h s e h e i c h
n e u l i c h l e h r a m t s e c h s
a m t l i c h e n s c h u l e s e h r
h e l e n s c h u m a c h e r s t i l

1.1.2.1.1.1.1.2: Die Zwillinge finden den Schlüssel

Mandy und Sandy fielen sich prustend um den Hals. Na, dem hatten sie ja einen gehörigen Schrecken eingejagt. Der arme Kerl war glatt in Ohnmacht gefallen …
»Für heute hab ich genug von dem Ulla-und-Ameriella-Schabernack. Schau mal nach, ob er was dabei hat!« Sandy zog sich das superkalifragilistisch-expialigorische Meerjungfrauenkostüm über den Kopf und warf es in den Schnee, während Mandy, die sich ihrer grünen Maskerade bereits entledigt hatte, die Taschen von Ulrichs durchnässter Jacke durchsuchte.
Die, die noch eben als Ulla ihre Unterwasser-Scherze getrieben hatte, stieß einen spitzen Schrei aus und bedeutete ihrer Schwester schelmisch: »Alte Uhren, … ein nasses Taschentuch … 19 Rappen in kleinen Münzen … und: DER Schlüssel!!! Ha! Das ist ja ein Zufall!«

Freitag, 9. Dezember 2005

1.3.2.1.1.1.1: Ein alter Bekannter

Schuhu besah sich die übermittelte Rufnummer auf dem Display. Das war doch die Nummer des Meysnkoth Ingel dem Eremiten, seinem alten Kumpel und ehemaligem Nestnachbarn! Was konnte dieser nur wollen zu einer solchen Tageszeit, wenn alle Eulen für gewöhnlich schliefen? Schuhu war verdammt müde, aber er musste der Sache auf den Grund gehen.

1.1.3.1.2: Renatus löst sein Billet

Ich kämpfte mich nach vorne durch, zur Hauptverkehrszeit war natürlich alles voll, – ich musste ja noch einen Fahrschein lösen, das mit dem Schulticket war, wie so vieles, nun wohl hinfällig, die ganze Tarnung dahin.

Beim Trambahnfahrer stand bereits ein anderer Fahrgast, ein seltsamer Kauz, der einen grünen Hut mit Kordel (im Helen-Schumacher-Stil) trug. Dieser verlangte flüsternd eine Karte »von dort nach hier«. Der Conducteur war ob dieses seltsamen Wunsches keineswegs erstaunt und händigte dem Herrn ein Billet aus.
Dann grummelte er: »Und Sie? Wohin? Gopf!«
Perplex antwortete ich: »Äh, das selbe wie der Herr, nur, äh, zurück, also – das selbe zurück!«
»Von hier nach dort? Das selbe zurück? Selbe zurück!« Er kicherte und wiederholte die Worte, während er auch mir eine Karte aushändigte, noch mehrmals – sie schienen ihm eine kindische Freude zu bereiten.

Ich bezahlte, dann wandte der Fahrer sich von mir ab und grüßte seinen Kollegen, der uns in dem großem, mit dem neunzehnten Buchstaben des Alphabets gekennzeichneten und im Stadtverkehr eingesetzten öffentlichen Automobilfahrzeug entgegenkam.

1.3.2.1.1.2.2: Ingel der Meisterornithologe

Er entsann sich seines Vetters dritten Grades, der ihm dereinst von seinem Exschwipschwager dem kuriosen Meisterornithologen Ingel Meysnkohtn und seinen übersinnlichen Fähigkeiten berichtet hatte. Dieser Ingel lebte als Eremit auf einem Baum und verstand sich blind mit jedem Geflügel. Jedenfalls wenn er ansprechbar war, denn er stand im Verruf, dem übermäßigen Stechapfelteegenuss zu frönen. Aber vielleicht erklärte dies auch seine besondere Begabung.
Der Bürgermeister jedoch wollte nichts unversucht lassen und schickte nach dem Eremiten um sich des Eulentiers zu entledigen.

D.1.1: Noch so’n Vogel

Wie war es möglich gewesen, dass Ulrich hierher gelangt war? Er war es, ganz sicher; denn er trug das grüne Zeichen. Hatte Adelbert diese elende Petze wieder einmal seine Finger im Spiel?
Urs schlug mit den Flügeln so schnell er konnte. Jetzt war keine Zeit zu verlieren. Noch war CONTRAFUMO nicht am Ziel.
Die Meisterin musste unverzüglich unterrichtet werden. Immerhin war er ja noch im Besitz des goldenen Schlüssels.

1.3.2.1.1.2.1: Adelbert

In der Nacht, in einem gar seltsamen Traum, war ihm eine kohlenschwarze Krähe erschienen. Er hatte sie ganz klar gesehen, ja ihm hatte sich sogar etwas Merkwürdiges eingeprägt: Sie schien einen merkwürdig glitzernden Gegenstand im Schnabel zu tragen.
Diese Krähe schien des Rätsels Lösung zu sein, auch wenn sich der werte Herr Bürgermeister darauf keinen Reim machen konnte. Immerhin war ihm dieser Traum dreimal widerfahren, was keinen Zweifel daran aufkommen lassen konnte, dass er wirklich ernstzunehmen war. So viel war ihm klar.
Nun denn, diese Krähe musste gefunden werden.

1.3.2.1.1.2: Ein Ausweg

Nun war keiner mehr übrig, der sich in die Gefahr hätte begeben wollen. »Das Ungeheuer,« sagten sie, »hat den stärksten Mann, der unter uns zu finden war, durch sein Gnappen und Anhauchen allein vergiftet und tödlich verwundet, sollen wir andern auch unser Leben in die Schanze schlagen?« Sie ratschlagten, was zu tun wäre, wenn die ganze Stadt nicht sollte zugrunde gehen. Lange Zeit schien alles vergeblich, bis endlich der Bürgermeister einen Ausweg fand.

1.3.2.1.2: Schubidu …

Als er bald oben war und die Eule sah, dass er an sie wollte, auch von der Menge und dem Geschrei des Volkes verwirrt war und nicht wusste, wo hinaus, so verdrehte sie die Augen, sträubte die Federn, öffnete die Flügel, gnappte mit dem Schnabel und ließ ihr Schubidu mit rauher Stimme hören.

»Stoß zu!« rief die wackere Menge draußen dem tapferen Helden zu.

Off: »Was eine zaghafte Veränderung so mit sich führen kann: Zack! war die Eule aufgespießt …« Wollen wir einen richtigen Schaschlik daraus machen?

1.3.2.1.1.1: Die Gedanken der Eule

Der Schuhu war müde, schläfrig, träge. Er zuckte ein bisschen mit den Flügeln, dann war er eingeschlafen, allein es dauerte nicht lange, so wurde er von Geschrei, Gejohle und Getrappel geweckt. Was war das nun schon wieder? Er blinzelte mit einem Auge und sah einen Mann heraufkommen, erst den Hut, dann den Kopf, dann Schultern, Arme, Oberkörper und schließlich war er fast oben. Dir werd ich’s zeigen! dachte der Schuhu, riss die Augen auf, sträubte die Federn, öffnete die Flügel, gnappte mit dem Schnabel und sprach mit rauer Stimme: schuhu! Das hatte schon gereicht: wie er sich’s gedacht hatte, verschwand der Mann schwankend wieder nach unten. Na also, dachte der Schuhu, zuckte noch ein bisschen mit den Flügeln und wollte wieder einschlafen, als sein Händi klingelte. Herrje, auch das noch! wer konnte das sein? eigentlich wussten doch alle, die seine Nummer hatten, dass er um diese Uhrzeit normalerweise nicht gestört werden wollte. O.k., o.k., dachte er, und holte das Telefonino hervor. Auf dem kleinen Bildschirm erschien in freundlichen grünen Buchstaben die sms: "don’t panic!"

Donnerstag, 8. Dezember 2005

1.1.1.1.2.1: Post-it

Auf den vergilbten Post-It-Zetteln standen verschiedene, zum Teil seltsame Namen und Telefonnummern: Benno 0531-391917, Schuhu 0531-391920, Adelheid 0531-391929, Adelbert 0531-391919, Esther Silberflug 0531-391924, Ulla Hermes 0531-391-912, Ameriella 0531-391921, Jacques 0531-391916, Rotkäppchen 0531-391281, Fisch 0531-391930. Ihm fiel auf, dass alle Nummern ähnlich waren, und aus einer anderen Stadt (er wusste aber nicht, welche, und ein Vorwahlnummern-Verzeichnis konnte er nirgends herumliegen sehen). Ausserdem begannen alle Nummern gleich. Was sollte das bedeuten? Er nahm den Hörer ab, hörte tatsächlich ein Freizeichen (und wunderte sich erst später darüber, dass er überhaupt eines hörte) und wählte aufs geradewohl eine der Nummern. »dü-da-dü: kein Anschluss unter dieser Nummer« säuselte eine verführerische Stimme, die ihm irgendwie bekannt vorkam.

D.1: Der Trambahnfahrer

Der Trambahnfahrer hatte bemerkt, dass seine beiden Fahrgäste miteinander Kontakt aufgenommen hatten: im Rückspiegel konnte er sehen, wie der, der zuerst eingestiegen war und weiter vorne gesessen hatte, sich mit einem Mal umgedreht und den anderen, weiter hinten sitzenden, bemerkt hatte. Er sah, wie der Mann aufstand und nach hinten ging. Verdammt! das hätte nie geschehen dürfen! Der Trambahnfahrer legte eine Vollbremsung hin, so dass die beiden Fahrgäste durch den Wagen geschleudert wurden und Angst haben mussten, sich alle Rippen zu brechen. Als die Bahn stand, öffnete er die vorderste Tür, zog dann den goldenen Schlüssel ab, sprang aus der Bahn, breitete die Arme aus und flog davon …

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1.1.1.1.2: Im Haus

Er stieg aus dem Wasser, hielt vergebens nach seinem Hut Ausschau und ging zu dem Haus. Der Schlüssel passte – Ulrich stieß die Tür auf und trat ein.

Vergilbte Vorhänge ließen nur wenig Licht einfallen. Es gab keine Möbel. Rasch durchschritt er die Räume; es waren neunzehn an der Zahl: alle leer. Und in jedem stand eine übelriechende Wolke von kaltem Rauch.

Im letzten Raum hing ein großer Spiegel, völlig eingestaubt. Daneben ein schwarzes, altmodisches Wandtelefon, welches komplett mit – einst bunten – Post-It-Zetteln beklebt war.

1.3.2.1.1: Schuhu, Schuhu!

Als er bald oben war und die Eule sah, dass er an sie wollte, auch von der Menge und dem Geschrei des Volkes verwirrt war und nicht wusste, wo hinaus, so verdrehte sie die Augen, sträubte die Federn, öffnete die Flügel, gnappte mit dem Schnabel und ließ ihr Schuhu, Schuhu mit rauher Stimme hören.

»Stoß zu!« rief die wackere Menge draußen dem tapferen Helden zu.

»Wer hier stände, wo ich stehe«, antwortete er, »der würde nicht ›stoß zu‹ rufen.« Er setzte zwar den Fuß noch eine Staffel höher, dann aber fing er an zu zittern und machte sich halb ohnmächtig auf den Rückweg.

1.1.3.1.1.1.2 + A.1 = D: Irritationen

Er rieb sich die Augen, doch das änderte nichts daran, dass aus hellichtem Tage finstere Nacht geworden war. Die Welt auf der anderen Seite des Fensters schien ihm seltsam vertraut, obwohl er sich sicher war, dass dies nicht die Stadt war in der er lebte. Irgendetwas hatte sich verändert. War die Tram jetzt nicht schon zum dritten mal um die selbe Straßenecke gebogen? Renatus konnte nur Schemen erkennen, als er aus dem Fenster blickte. Die Straßen waren vollkommen leer. Er befand sich offenbar in einer Vorstadtgegend. Alte Industriegebäude zogen am Fenster vorbei. Verladekräne wie an einem Binnenhafen ragten gespenstisch in den Himmel empor. Der Dämmerung nach zu urteilen war es die Stunde vor Sonnenaufgang.
Plötzlich erblickte Renatus zwei Gestalten, die an einer Tramhaltestelle vor einer Mauer standen. Die Bahn hielt jedoch nicht. Waren das nicht Mandy und Sandy, die Zwillinge aus der 10a, die immer etwas kränklich und blutleer wirkten? Doch aufgrund ihrer seltsamen Kleidung konnte er sich nicht sicher sein. Als er sich nochmals umwandte, bemerkte er, dass er nicht allein im Tramwagen war.

Mittwoch, 7. Dezember 2005

1.2.3.1.1.1.1: Gewitter

… auf einmal fing es auch noch an zu gewittern …

1.2.1.1.1.1.1.1.1: eine Pause

Sie schlug das Buch zu. »Ich brauche eine Pause mit dem Lesen. Wollt ihr nicht lieber ein bisschen schafen?« »Nein, Tante, wie können wir bei einer so spannenden Geschichte schlafen? Weiter! Wie geht es weiter?« Sie wischte eine Träne von ihrer Wange. Wie konnte sie diese Geschichte nur weiterlesen? Es war Sonntag heute und es sollte noch gewittern.

Also gut: …

1.1.1.1.1.1: wieder entflogen

… eine Elster hatte sich diesen geschnappt. Nun sah er sie wegfliegen. Doch dies konnte er sich nicht gefallen lassen! …

1.2.1.1.1.1.1.1 + B.1 = C: Adelheid

Benno wollte schnell vorankommen, doch das kleine rote Mützenmädchen mit seinen tapsigen Schritten bremste den erfahrenen Waldläufer. Er war beunruhigt; der Forst schien ihm zunehmend fremder, die Flora dichter und das Unterholz belebter.
Da traten die beiden plötzlich auf eine helle Lichtung hervor und ehe sie sich versahen, stürzte ein dunkler Schatten auf sie zu. Mit einem dumpfen Schlag landete etwas direkt vor ihren Füßen.
Es war ein seltsamer Vogel, der da so bewegungslos und nervös zuckend im satten Grün lag. Bennos ornithologischem Urteilsvermögen nach handelte es sich bei diesem Exemplar um eine überdimensionale Elster, aber ganz sicher war er aufgrund ihres Gewandes nicht.
Als er sich bei der Begutachtung noch weiter über das Vogeltier beugte, strömte ihm abermals ein aufdringlich süßer Duft in die Nasenflügel. Diesmal war es nicht der von Waldmeistersirup, es war Chanel No 5!, da war Benno sich ganz sicher, denn das hatte seine erste Freundin, die Magd Adelheid zu ganz gewissen Anlässen immer aufgetragen.
Ach, was kamen da Gefühle in ihm auf!

1.3.2.1: Keiner will den Fuchs beißen

Als er aber das seltsame und greuliche Tier mit eigenen Augen sah, so geriet er in nicht geringere Angst als der Knecht. Mit ein paar Sätzen sprang er hinaus, lief zu seinen Nachbarn und bat sie flehentlich, ihm gegen ein unbekanntes und gefährliches Tier Beistand zu leisten; ohnehin könnte die ganze Stadt in Gefahr kommen, wenn es aus der Scheuer, wo es säße, heraus bräche. Es entstand großer Lärm und Geschrei in allen Straßen: die Bürger kamen mit Spießen, Heugabeln, Sensen und Äxten bewaffnet herbei, als wollten sie gegen den Feind ausziehen: zuletzt erschienen auch die Herren des Rats mit dem Bürgermeister an der Spitze. Als sie sich auf dem Markt geordnet hatten, zogen sie zu der Scheuer und umringten sie von allen Seiten.

Hierauf trat einer der beherztesten hervor und ging mit gefälltem Spieß hinein, kam aber gleich darauf mit einem Schrei und totenbleich wieder herausgelaufen, und konnte kein Wort hervorbringen. Noch zwei andere wagten sich hinein, es erging ihnen aber nicht besser.

Endlich trat einer hervor, ein großer starker Mann, der wegen seiner Kriegstaten berühmt war, und sprach »Mit bloßem Ansehen werdet ihr das Ungetüm nicht vertreiben, hier muss Ernst gebraucht werden, aber ich sehe, daß ihr alle zu Weibern geworden seid und keiner den Fuchs beißen will.« Er ließ sich Harnisch, Schwert und Spieß bringen und rüstete sich. Alle rühmten seinen Mut, obgleich viele um sein Leben besorgt waren.

Die beiden Scheuertore wurden aufgetan, und man erblickte die Eule, die sich indessen in die Mitte auf einen großen Querbalken gesetzt hatte. Er ließ eine Leiter herbeibringen, und als er sie anlegte und sich bereitete hinaufzusteigen, so riefen ihm alle zu, er solle sich männlich halten, und empfahlen ihn dem heiligen Georg, der den Drachen getötet hatte.

1.3.3: Adelberts Flug beginnt

Die Krähe stieg hoch hinauf, immer höher, bis sie das ganze Dorf im Blick hatte. Ja, jetzt konnte Adelbert alles sehen!

Aus dieser Perspektive sah es nicht gut aus für Bubo, den armen Uhu. Adelbert erkannte noch, wie erst Benno und nach ihm dessen Herr den Scheuer betraten und sogleich wieder herausstürzten – aber davon wollte er ja erst später berichten.

Zunächst flog er weiter, über das rote Etwas hinweg, das am Waldesrand im Schnee lag und von hier oben nur noch als ein leuchtender Punkt erschien, über den Wald, weiter Richtung Stadt.

Unter ihm glitzerte der Fluß in den ersten Sonnenstrahlen des Tages; und da sah er den Mann aus dem Schulgebäude herauskommen! Dieser Mann gab vor, Renatus Schlehmichel zu sein (und vielleicht war das auch die Wahrheit), doch Adelbert wusste es, wieder einmal, besser: Zu sehr erinnerte ihn der Name an Peter Schlemihl, eine arme Kreatur, welche seinen Schatten an den Teufel verkauft hatte. Vor langer Zeit – es musste zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewesen sein – hatte ein Herr von Chamisso der Krähe von Schlemihl und seiner wunderbaren Geschichte berichtet.

Und war »Renatus« nicht lateinisch? Adelbert sah sich bestätigt, er kannte diesen »Schlehmichel«!

1.3.2: Benno im Scheuer

Als nun der Hausknecht morgens in die Scheuer kam, um Stroh für die Tiere zu holen, erschrak er bei dem Anblick der Eule, die da in einer Ecke saß und so schrecklich aussah, so gewaltig, daß er fortlief und seinem Herrn ankündigte, ein Ungeheuer, wie er zeit seines Lebens keins erblickt hätte, säße in der Scheuer, drehe die Augen im Kopf herum und könne einen ohne Umstände verschlingen.

»Ich kenn’ dich schon«, sagte der Herr, »einer Amsel im Felde nachzujagen, dazu hast du Mut genug; aber wenn du ein totes Huhn liegen siehst, so holst du dir erst einen Stock, ehe du ihm nahe kommst. Ich muß nur selbst einmal nachsehen, was das für ein Ungeheuer ist«, setzte der Herr hinzu, ging ganz tapfer zur Scheuer hinein und blickte umher.

1.3.1.1.2: Esthers Spott

»Du, Eule, lernst Hasch-mich nimmermehr!« frohlockte die Elster – sie war ja ein Rabenvogel (mütterlicherseits). Nie hätte sie gedacht, dass es so leicht sein würde; die dumme Eule glich Orion, dem Tolpatsch. »Schlaue Elster – Chanel im Schuh verwirrt den Uhu!«, lobte sich Esther selbst. »Nehmt ihn nur!«, der Bubo hatte ihr den Schatz regelrecht aufgedrängt.
Endlich, endlich hatte sie DEN Ring!

Jetzt musste sie nur noch die CONTRAFUMO finden.

1.2.1.1.1.1.1: Der Aufbruch

»Manno! Hast du mich denn ganz vergessen?«, piepste das zaghafte Stimmchen seiner kleinen Begleiterin mit der roten Kappe. »Du hast drei geschlagene Stunde geschlafen während ich mich hier langweilen musste! Und dann dein Geschwafel! Was hast du denn nur geträumt? Ich war schon richtig ängstlich, wollte dich aber auch nicht wecken. Meine Großmutter erzählte mir immer wieder, das bringe großes Unheil.«
Benno nahm das zierliche Wesen an die Hand und sagte: »Sorge dich nicht, meine Kleine. Ich bin hier bei dir und werde jetzt besser aufpassen. Trotzdem sollten wir jetzt tunlichst verschwinden, denn ich habe eine ungute Vorahnung. Im Gehen berichtete Benno von der Elefanten-Vision, doch denn Rest des Traumes behielt er vorerst für sich.

1.3.1.1.1 + 1.3.1.1.2.1 = B: In freiem Fall

Und schon befand sich die gelernte Steilflüglerin in unendlichen Höhen. Das Schmuckstück ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Wie konnte es sein, dass dieser dahergelaufene Uhu einen derartigen Ring zur Schau stellte? Die wirren Gedanken brachten sie aus dem Konzept, was sich an einem nervösen Zucken ihrer Rückenmuskulatur zeigte. »Nicht ablenken lassen, Esther!« Sie versuchte sich zu beruhigen. Diese Situation kam ihr bekannt vor. Sie dachte an ihren letzten bedeutenden Wettkampf in der Nesterflugschau Schwingenheim. Dort hatte sie plötzlich völlig die Kontrolle verloren, als sie über ihre verflogene Liebschaft sinnieren musste. Die Elster verlor bereits an Höhe, kam ins Schwanken. Dieser Zustand steigerte ihre Nervosität jedoch um so mehr. Ihr wurde schwarz vor Augen und merkte nur noch wie von Ferne, dass sie mit einem dumpfen Knall auf dem Boden aufschlug.

1.3.1.1: Ist das nicht das Vogellied?

»Hast du mich gerufen? Wer hat nach mir gerufen? Hier bin ich! Esther die Elster!«, vernahm der Schuhu eine sich überschlagende Stimme, und mit einem wenig eleganten Flatsch landete eine außergewöhnlich beleibte, über und über mit Geschmeide behängte Elster fast auf dem Schoß des Schuhu.
»Schmuck und Geschmeide, Geschmeide und Schmuck. Gold und Silber, silber und Gold. Gib mir all’ jenes, das Glück sei dir hold!«, flötete sie und zwinkerte, den Kopf leicht geneigt, dem Schuhu zu. Dieser wollte, benebelt von ihrem schweren Duft, der überkandidelten Vogeldame Einhalt gebieten, und das um jeden Preis. Chanel No 5 war ihm schon immer zuwider gewesen. Dafür gäbe er sogar den funkelnden Ring, der ihn so magisch anzog.
»Esther, seht, was vor euch liegt. Ein kostbarer Ring, funkelnd und silbrig! Nehmt ihn nur!«
Die Elster war sofort interessiert. Ihre Äuglein traten gierig hervor. Mit wendigem Hals ließ sie ihren Kopf herumsausen und taxierte den Ring.
Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie stammelte: »Der Ring! Es ist tatsächlich DER Ring!« Für einen Moment herrschte gespannte Stille.
Mit einem kurzen gehetzten Seitenblick auf den verdutzten Schuhu hob die Elster ihre Schwingen und verließ denselbigen in allergrößter Hast.

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